Fixpunkt, erschienen in der RHZ am 06.10.2023:Gott hat einen weiteren Zug übrig

Vor Kurzem wurde ich auf ein Gemälde von Friedrich Moritz August Retzsch aufmerksam. Es heißt und zeigt zwei „Schachspieler“, den Teufel auf der einen und einen jungen Mann auf der anderen Seite. Alles deutet darauf hin, dass der Mensch „Schachmatt“ und das Spiel verloren ist.
Vielleicht kennen auch Sie das Gefühl, dass eine Situation ausweglos erscheint. Es scheint, als stecken wir in einer Sackgasse fest, als sei die Idee gegen die Wand gefahren, ein klares „Schachmatt“. Diese Emotionen teilen viele Menschen in der Bibel: die Israeliten, die aus Ägypten ausgezogen sind und denen das Meer plötzlich den Weg versperrt; ein Aussätziger, dem eine Teilhabe an gesellschaftlichem Leben verwehrt wird; die Freunde des Lazarus, die um ihn trauern. Auch für sie scheint das „Spiel des Lebens“ zu Ende gespielt.
Doch wer die biblischen Erzählungen kennt, erkennt schnell, dass sich Gott in all diesen Ausweglosigkeiten als der „ganz andere“ (Karl Barth) erweist: für ihn ist das Spiel noch lange nicht vorbei.
Dazu passt eine wunderbare Legende, die sich um das Gemälde von Retzsch rankt. Demnach schaute sich der berühmte amerikanische Schachspieler Paul Morphy die Szene an und stellte fest: Das Spiel ist keineswegs vorbei. Es gibt einen weiteren, wenn auch ungewöhnlichen Schachzug.
Auch in den biblischen Geschichten zeigt Gott, dass er einen weiteren Zug übrig hat: er teilt das Meer, damit sein Volk ziehen kann; er heilt den Aussätzigen und integriert ihn ins gesellschaftliche Leben; er erweckt den verstorbenen Lazarus von den Toten.
Diese Erkenntnis macht mir Hoffnung: Wenn das Leben mich „Matt setzen“ will, kann ich darauf vertrauen, dass mein Gott, der das Meer teilen und Tote erwecken kann, einen weiteren Zug sieht, der mir verborgen ist. Auch wenn ich selbst nicht weiter weiß, mit ihm an meiner Seite kann ich nur gewinnen.