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Fixpunkt, erschienen in der RZ am 08.03.2023:Möglichkeitsräume eröffnen

Kirche als Raumöffner? Diesen Gedanken verfolgt Hermann Schmitt, Leiter der JugendBegegnungsStätte St. Michael, in seinem aktuellen Fixpunkt.
Straßenmusikanten
Datum:
8. März 2024
Von:
Hermann Schmitt
Hermann Schmitt

Vor einiger Zeit kamen junge Erwachsene auf mich zu und meinten: „Hermann in Boppard gibt es keine Konzerte, lass´ uns mal wieder was im Nirvana machen.“ Das Nirvana ist unser Konzert- und Partyraum im Keller der JugendBegegnungsStätte St. Michael. 10 Jahre zuvor fanden dort Konzerte statt, die wegen mangelnder ehrenamtlicher Unterstützung eingestellte werden mussten. Aber jetzt sind wieder Menschen da, die etwas bewegen wollen. Sie entwickeln Initiative, sind motiviert und eröffnen nicht nur sich selbst, sondern auch den auftretenden Bands einen Raum, ihre Musik zu präsentieren und dem Publikum einen Musikgenuss. 
Sie sind Ermöglicher für die Bands und die JBS ermöglicht Ihnen ihre Idee umzusetzen durch zur Verfügung stellen des Raums, der Logistik, der Anschaffung moderner Verstärkertechnik, der Abrechnung und Verwaltung.

Muss dieses Ermöglichen nicht die zentrale Aufgabe von Kirche sein? Menschen einen Raum zu öffnen, in dem sie ihre Interessen zum Wohl der Allgemeinheit umsetzen können, sie in ihren Ideen zu unterstützen? Die Trierer Synode, die nun auch schon vor 10 Jahren tagte, fasste dieses Ansinnen in zwei Perspektivwechseln für die kirchliche Arbeit zusammen: „vom Einzelnen her denken“ und „Charismen (Begabungen, Potentiale des Menschen) vor Aufgaben“. Aber ist Kirche dort? Erleben Sie, liebe/r Leser*in dieses Fixpunkts Kirche als eine offene Einrichtung, die ihre Interessen, Ihr Engagement fördern will, die Ihnen Freiraum gibt? Genau dies hat sich die Kirche im Bistum Trier vorgenommen, zu schauen was die Menschen vor Ort möchten, wo sie Fragen haben, was sie bewegt, wo sie Antworten suchen. Dabei muss es nicht um ein Konzert gehen, kann es aber.

Durch diese neue Sichtweise kommt Kirche ihrem Gründer wieder ein Stück näher. Über Jahrhunderte hatte sie sich von ihm entfernt und sich lieber mit Dogmen, Lehrschreiben, Hierarchien und dem Kirchenrecht beschäftigt. Jesus wanderte (so erzählt es Matthäus, einer der Vieren, die über Jesu Leben schrieben, im 20. Kapitel) von Jericho nach Jerusalem und sah am Straßenrand zwei Blinde sitzen. Sie riefen ihm zu „Herr habe Erbarmen mit uns!“ Jesus ruft beide zu sich. Er erzählt ihnen nicht, dass sie vielleicht ihre Blindheit selbst verschuldet haben, dass sie Strafe für irgendeine Sünde sei. Gedanken, die in der damaligen palästinensischen Welt unterwegs waren. Er fragt sie stattdessen: „Was soll ich für Euch tun?“ Er stellt ihre Interessen und Wünsche in den Mittelpunkt. Beide wollen wieder sehen können und Jesus erfüllt diesen Wunsch. Jesus vergrößert den Möglichkeitsraum dieser beiden Menschen erheblich und schenkt ihnen eine Selbstbestimmung, die sie so vorher nicht kannten. Dieses Verhalten Jesu kann nicht nur für die Kirche, sondern auch für mich Vorbild sein. Wo eröffne ich Möglichkeitsräume nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Handeln gegenüber meiner Partnerin, gegenüber meinem Sohn, gegenüber meinen Freund*innen?