Zum Inhalt springen

Fixpunkt, erschienen in der RZ am 17.10.2025:Eine Kirche, die der Liebe keine Grenzen setzt

Das Gleichnis des barmherzigen Samariters und dessen Botschaft für Mensch und Kirche heute beleuchtet Tobias Petry in seinem aktuellen Fixpunkt.
Datum:
17. Okt. 2025
Von:
Tobias Petry

Vor einigen Jahren erklomm ich in der Nähe von Lourdes den Aussichtsgipfel „Pic du Jer“. Oben angekommen, bewunderte ich das Gipfelkreuz, das ehemalige Observatorium und die fantastische Aussicht. Plötzlich vernahm ich ein Raunen und Staunen, als ein deutscher Soldat die Treppe heraufkam – und auf den Schultern einen Mann trug. Der Ire, wie sich später herausstellte, saß im Rollstuhl und konnte die Aussicht von ganz oben nicht genießen, da die Treppen ihn daran hinderten, hinaufzukommen. Der Soldat erkannte dies, sprach mit dem Mann und trug ihn kurzerhand auf die Spitze.
Dieses Erlebnis bewegt mich noch immer. Es erinnert mich stark an das Gleichnis des barmherzigen Samariters (Lk 10,29-37), der ohne Zögern dem Menschen hilft, der ihn gerade braucht. Vorher sind in der biblischen Erzählung einige andere an diesem Mann vorbeigegangen, die dessen Not zwar gesehen, aber nichts daran geändert haben. Und auch ich bin mir nicht mal sicher, ob meine Freunde und ich den Mann am Pic du Jer damals überhaupt wahrgenommen haben.
Der Samariter und auch der Soldat lehren mich durch ihr Vorbild, dass aus meinem „Wegsehen“ ein „Weg sehen“ werden muss: Wer ist der Nächste auf meinem Lebensweg?
Der US-Vizepräsident JD Vance beantwortet diese Frage so: „Man liebt zuerst seine Familie, dann seine Nachbarn, dann seine Gemeinschaft, dann die Mitbürger im eigenen Land – und erst danach kann man sich um den Rest der Welt kümmern.“ Zum Glück wurde ihm direkt widersprochen: „JD Vance liegt falsch: Jesus fordert uns nicht auf, unsere Liebe zu anderen zu gewichten“, so der damalige Kardinal Robert Francis Prevost, der heutige Papst Leo XIV.
Auch für den Papst ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter eine zentrale Kernbotschaft des christlichen Glaubens, denn es durchzieht sein erstes, kürzlich erschienenes Lehrschreiben „Dilexi te“ wie ein roter Faden. Er richtet den Blick auf die Armen, übt Kritik an Kapitalismus und sozialer Ungleichheit und entwirft eine Vision für eine Kirche im Jahr 2025: „Eine Kirche, die der Liebe keine Grenzen setzt, […] das ist die Kirche, die die Welt heute braucht.“
Eine Kirche, die auf den Weg schaut, statt wegzuschauen, die trägt, statt zu ertragen und die dient, statt zu nichts zu dienen – das ist eine Kirche, die auch uns mit den Worten Jesu auffordert: „Dann geh und handle du genauso!“ (Lk 10,37)

Tobias Petry

Tobias Petry

Pastoralreferent im Leitungsteam
Pastoraler Raum Sankt Goar
Hospitalgasse 11
55430 Oberwesel